2011/06/19

Kündigung - Schwerbehinderung - Kenntnis des Arbeitnehmers

Zu den Problemen einer fehlenden Zustimmung im Blick auf die Kündigungsschutzklagefrist. Verkürzte Darstellung nach BAG vom 13.02.2008 - 2 AZR 864/06: Will ein Arbeitnehmer geltend machen, eine Kündigung sei sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Wann beginnt die Klagefrist nach § 4 Satz 1 zu laufen, wenn gekündigt wird, aber die Zustimmung des Integrationsamts fehlt. Dies ergibt sich aus § 4 Satz 4 KSchG. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab. Das Bundesarbeitsgericht hat zu § 113 Abs. 2 InsO aF entschieden, das Erfordernis der vorherigen Zustimmung einer Behörde zur falle unter den Anwendungsbereich des § 4 Satz 4 KSchG. Das gilt auch nach der Neufassung des Gesetzes. Eine ohne Bekanntgabe einer Zulässigkeitserklärung der Behörde an den Arbeitnehmer diesem gegenüber ausgesprochene Kündigung setze den Lauf der Dreiwochenfrist wegen § 4 Satz 4 KSchG nicht in Gang. Der Arbeitnehmer könne deshalb ohne die Begrenzung durch die Dreiwochenfrist das Fehlen einer Zulässigkeitserklärung bis zur Grenze der Verwirkung -jederzeit geltend machen, wenn ihm die notwendige Entscheidung der zuständigen Behörde nicht bekannt gegeben worden sei. Die Ausnahmevorschrift des § 4 Satz 4 KSchG sei bei dem Erfordernis der vorherigen Zustimmung einer Behörde zur Kündigung jedenfalls auch in dem Fall unmittelbar anzuwenden, dass etwa die frühere Hauptfürsorgestelle bzw. das jetzige Integrationsamt die nach § 85 SGB IX erforderliche Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten dem Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung wirksam erteilt hatte, die Entscheidung der Behörde dem Arbeitnehmer jedoch erst nach Ausspruch der Kündigung bekannt gegeben worden ist. Die gesetzliche Ausnahmeregelung des § 4 Satz 4 KSchG rechtfertige es nicht, den Fall, dass der Arbeitgeber kündige, bevor die zum Ausspruch der Kündigung erforderliche Zustimmung der Behörde vorliege oder gar bevor sie beantragt sei, anders zu behandeln als den Fall, dass die Zustimmung der Behörde bei Kündigungsausspruch dem Arbeitgeber, nicht jedoch dem Arbeitnehmer, vorliege. Wenn das Kündigungsschutzgesetz im Fall der Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung allein auf die Bekanntgabe der Zustimmung an den Arbeitnehmer abstelle und die Klagefrist erst ab diesem Zeitpunkt laufen lasse, so bedeute dies, dass der Arbeitnehmer, dem die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung einen besonderen gesetzlichen Schutz gewähre, sich im Fall einer Kündigung zunächst darauf verlassen könne, dass die Kündigung mangels Zustimmung der Behörde unwirksam sei. Erst ab der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde, nicht bereits ab Zugang der Kündigung, müsse er nunmehr innerhalb der gesetzlichen Klagefrist reagieren. Der Arbeitnehmer wisse in einem derartigen Fall nicht einmal, ob der Arbeitgeber überhaupt eine behördliche Zustimmung zu der Kündigung beantragt habe. Bis zur Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer habe dieser regelmäßig keine hinreichende Kenntnis darüber, ob der Arbeitgeber die behördliche Zustimmung beantragt habe, wie die Behörde entschieden habe, ob dem Arbeitgeber bereits rechtswirksam eine Zustimmung erteilt worden sei und aus welchen Gründen dies ggf. geschehen sei. Diesem Informationsdefizit trage die gesetzliche Regelung Rechnung, nach der die Klagefrist erst ab Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung an den Arbeitnehmer zu laufen beginne. Komme es nicht zu einer solchen Bekanntgabe, weil der Arbeitgeber eine Zustimmung überhaupt nicht beantragt habe, sei das Recht zur Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung dann nur durch die Grundsätze der Verwirkung begrenzt. Daran hält das BAG nach der Neufassung des Kündigungsschutzgesetzes fest. Die Übernahme des § 4 Satz 4 KSchG spreche dafür, dass der Gesetzgeber trotz des grundsätzlichen Ansatzes, alle Unwirksamkeitsgründe unter § 4 Satz 1 KSchG zu erfassen, es vermeiden wollte, dass der Arbeitgeber etwa bei einer Schwerbehinderung das gesetzlich festgelegte Verfahren vor dem Integrationsamt unterläuft. Dies könnte er aber ohne die Regelung des § 4 Satz 4 KSchG, indem er zunächst einmal trotz Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft kündigt, um abzuwarten, ob sich das behördliche Verfahren einfach dadurch vermeiden lässt, dass der Arbeitnehmer die Frist des § 4 Satz 1 KSchG versäumt. Was ist wenn dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers bzw. dessen Gleichstellung nicht bekannt war und der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamts folglich auch nicht beantragt hatte? Dann muss sich der AN zur Erhaltung seines Sonderkündigungsschutzes nach § 85 SGB IX innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung auf diesen Sonderkündigungsschutz berufen. Teilt der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seinen Schwerbehindertenstatus bzw. seine Gleichstellung nicht innerhalb dieser drei Wochen mit, so kann sich der Arbeitnehmer auf den Sonderkündigungsschutz nicht mehr berufen und mit Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG ist der eigentlich gegebene Nichtigkeitsgrund nach § 134 BGB iVm. § 85 SGB IX wegen § 7 KSchG geheilt. § 4 Satz 4 KSchG kommt hier nicht zur Anwendung, denn eine Entscheidung war nicht erforderlich und konnte dem Arbeitnehmer deshalb auch nicht bekannt gegeben werden. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seinen Schwerbehindertenstatus bzw. seine Gleichstellung innerhalb von drei Wochen nach der Kündigung mitteilt. Dann kann sich der Arbeitnehmer zwar auf den Sonderkündigungsschutz berufen. Allerdings muss er zugleich auch die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG einhalten, denn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung war dem Arbeitgeber der Sonderkündigungsschutz nicht bekannt und er konnte eine Zustimmung nicht beantragen. Mit Zugang der Kündigung ist die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG angelaufen. Trotz Bekanntgabe der Schwerbehinderung ist der Arbeitnehmer nunmehr gehalten, die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG einzuhalten, um sich auf den eigentlich gegebenen Nichtigkeitsgrund nach § 134 BGB iVm. § 85 SGB IX berufen zu können. § 4 Satz 4 KSchG hilft ihm nicht weiter, denn die Klagefrist war hier zunächst angelaufen und wird durch die Bekanntgabe der Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung nicht mehr gehemmt. Der Verstoß gegen § 134 BGB iVm. § 85 SGB IX wird nach § 4 Satz 1 KSchG iVm. § 7 KSchG bei nicht rechtzeitiger Klageerhebung geheilt.

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